Warum die Sozialdemokratie eine aktive Kunst- und Kulturpolitik braucht, die deren Wert nicht an wirtschaftlichen Faktoren bemisst, sondern in der Wirkmacht der Kunst selber.
In Europa herrscht Krieg, Lebenskosten explodieren, die Inflation frisst Erspartes auf, Steuern zahlen nur noch diejenigen, die auf Erwerbsarbeit angewiesen sind und die Klimakrise bedroht Leben sowie die Zukunft der Menschen.
Diskurse zu diesen Herausforderungen werden in großer Komplexität im akademischen Kontext geführt und das ist gut und wichtig.
Zumeist ist diese Auseinandersetzung aber außerhalb eines Expert:innenkreises nicht verständlich. Das machen sich Populisten zunutze und bieten für jedes komplexe Problem einen simplen Sündenbock.
So finden wir die brennenden Themen der Zeit einerseits in komplizierten Texten und andererseits in effektheischender Verknappung.
Die Kunst ist ein Ort zur Auseinandersetzung mit der Welt.
Kunst bietet in ihrer Vielfalt eine für jede:n erfahrbare Auseinandersetzung mit den ganz persönlichen Herausforderungen dieser komplexen Welt. Kunst kann übermächtige Ereignisse, Zustände, Gefahren und Herausforderungen auf die unterschiedlichsten Arten fassbar machen.
Eine erlebbare Auseinandersetzung mit den brennenden Fragen der Zeit findet in der Kunst auf den unterschiedlichsten Ebenen statt.
In den Theatern begegnet man ihnen inhaltlich, in Songs werden sie emotional abgearbeitet, die Museen beschäftigen sich thematisch damit, sie spiegeln sich in Bildern, Texten und Tönen wider.
Künstler:innen übernehmen die wertvolle Rolle, „die Welt zu übersetzten“. Sie übersetzen die Welt in Theaterstücke, Bilder, Animationen, Filme und Musik, bieten kritische Auseinandersetzung mit der Welt, die dadurch in all ihrer überfordernden Komplexität fassbarer, erträglicher, zugänglicher, weniger beängstigend wird.
Kunst macht aber auch Ideen denkbar und Lösungen erlebbar. Sie bietet auch hemmungslos subjektive Perspektiven auf die Herausforderungen der Zeit und bricht große Themen auf das Detail, auf das Leben herunter. Kunst bietet die
Möglichkeit, die unterschiedlichen Welten einzelner zu sehen, denn Menschen sind nicht nur in ihren Identitäten unterschiedlich, sondern auch in ihrer Wahrnehmung der Welt.
Die Kunst ist ein Mittel der politischen Ermächtigung.
Und das ist eine großartige politische Ermächtigung, denn Menschen sind grundsätzlich gegenüber der Welt nicht gleichgültig, sie sind solidarisch.
Und je größer die Herausforderungen sind, desto solidarischer sind sie! Wie man am solidarischen Verhalten der Menschen im direkten Angesicht des Desasters sieht (etwa bei der großzügigen Aufnahme von ukrainischen Kriegsflüchtenden), kann die Gleichgültigkeit nur dort zuhause sein, wo einem die Welt nicht im Angesicht gegenübersteht, wo man sie nicht erkennt, nicht erlebt.
Kunsterlebnisse können Themen von Identitätsgruppen einem größeren Kreis von Menschen erlebbar machen, können daran mitwirken, isolierte Zellen aufzubrechen, die irgendwann beschlossen haben, sich zu bekämpfen.
Die wirklich großen Themen sind doch jene, die alle betreffen! Queere Menschen sind auch Mieter:innen, Sorgearbeit müssen alle leisten, Inflation frisst die Löhne und Ersparnisse aller auf.
Die echten Bruchlinien in der Gesellschaft sind wachsende Vermögensungleichheit, ungerechte Verteilung von Einkommen, die hemmungslose Privatisierung von Gewinnen und Kollektivierung von Verlusten, die Zerstörung der Umwelt.
All das wird in etablierten Kunstformen und klassischen Werken, traditionellen Formen ebenso thematisiert, wie in den innovativen Kunsterlebnissen und Experimenten der Gegenwartskultur.
Kunst und Kultur geben uns die Möglichkeit, die Welt zu erkennen, denn es gibt mehr Menschen, Ideen und Welten als man sich vorstellen kann. Das wird uns im Kampf helfen, das Leben der Menschen besser, gerechter und schöner zu machen.