Es gibt viele Definitionen von Neutralität, die sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelt haben.
Nach dem Beginn des Kalten Krieges verlagerte sich der Schwerpunkt der Neutrali-tätsdefinition von der Nicht-beteiligung an fremden Kriegen und militärischen Konflikten auf die Nichtbeteiligung an Militärbündnissen.
Neutralität war nie eine notwendige Bedingung für Frieden, aber sie hat historisch gesehen eine der möglichen Kriegsursachen vermieden: Die Beteiligung an Kriegen, die von Militärbündnissen geführt werden.
In Bündnissen verpflichten sich die Mitgliedstaaten einzeln und gemeinsam, anderen Mitgliedern zu Hilfe zu kommen, auch militärisch, wenn sie von außerhalb des Bündnisses bedroht oder angegriffen werden.
Ein neutraler Staat kann dieses Versprechen nicht geben, sich am Krieg eines anderen Staates zu beteiligen. Er behält sich aber auch das Recht vor, sich einer derartigen Forderung nicht beugen zu müssen.
So ist eine Mitgliedschaft in der NATO für einen neutralen Staat ausgeschlossen, da deren
Gründungsvertrag eine ausdrückliche Verpflichtung zur militärischen Hilfeleistung enthält. Diese Verpflichtung wurde in den jüngsten Dokumenten der NATO auf chinesische Bedrohungen ausgedehnt.
Damit die Neutralität von den Großmächten respektiert wird, muss ein neutraler Staat zwei Bedingungen erfüllen: Der Status der Neutralität muss glaubwürdig und berechenbar sein, und der neutrale Staat muss politisch nützlich sein.
Glaubwürdigkeit bedeutet, dass ein neutraler Staat seine Neutralität auch in Friedens-zeiten unmissverständlich kommunizieren muss. Er darf auch keine Bedrohung dar-stellen, d. h. er darf nicht einem Bündnis beitreten, das von einer Seite als feindlich empfunden wird, oder diese Absicht vermitteln.
Die Glaubwürdigkeit wird auch durch die Tatsache unter-strichen, dass der neutrale Staat bewaffnet ist. US-Präsident Dwight D. Eisenhower zum Beispiel stimmte der österreichischen Neutralität nur unter der Bedingung zu, dass Österreich diese verteidigen könne.
Der neutrale Staat kann seinen Nutzen und seine Nützlichkeit unter Beweis stellen, indem er die Funktion eines Puffer-staates übernimmt und/oder gute Dienste anbietet sowie im weitesten Sinne als Vermittler auftritt. Auf diese Weise kann der neutrale Staat sehr gute Sicherheitsgarantien er-
halten. Seit der Zeit des Kalten Krieges haben die Neutralen beide Rollen übernommen.
Mit der für 2022 angekündigten Absicht Finn-lands und Schwedens, der NATO beizutreten, haben sie die Bündnismitgliedschaft der Neutralität vorgezogen. Damit haben sie ihre Rolle als Puffer-staaten gegenüber der NATO aufgegeben, die sowohl von der Sowjetunion als auch von Russland anerkannt wurde. Sie werden nun von Russland als Feindstaaten eingestuft. Mit dem Beitritt zur NATO wird Finnland als Teil ihrer Ost-flanke, d. h. als Frontstaat, be-handelt, was auch die Posi-tionierung seiner Waffen im Vorfeld einschließt.
Im Sinne einer „engagierten Neutralität“ sollten aber auch neutrale Staaten Stellung beziehen, denn sie sind nicht wertneutral und dürfen es nicht sein. Vielmehr bedeutet „engagierte Neutralität“, zu schweren Menschenrechts-verletzungen, Völkermord und Krieg Stellung zu beziehen.
Neutrale Staaten sind jedoch nicht gezwungen, die Posi-tionen von Großmächten oder Bündnissen zu übernehmen. Anders als Bündnisse stellen neutrale Staaten keine Bedro-hung für Großmächte dar.
Neutrale Staaten sollten aber die Gesprächskanäle zu allen Konfliktparteien offenhalten.
Engagierte Neutralität ist also das Gegenteil von Untätigkeit. Sie kann in Zeiten sich zuspitz-ender Konfrontationen einen wertvollen Beitrag zur Media-tion und Deeskalation leisten.
Sie bedeutet, Initiativen zu setzen, wann immer es mög-lich ist, und sich herauszu-halten, wenn es nötig ist.
Österreich hätte nach der Aufgabe ihres bündnisfreien Status‘ durch Finnland und Schweden eine verantwor-tungsvolle Position innerhalb der Europäischen Union.
Österreich hat gemeinsam mit anderen kleineren neutralen Staaten (Malta, Irland, Zypern) denselben Status wie die meisten Staaten des glo-balen Südens, nämlich nicht-bündnisgebunden und nuklear-waffenfrei. Hier hätte Öster-reich eine wichtige Brücken-funktion zwischen der EU und dem globalen Süden.
Obwohl Österreich den Vertrag über das Verbot von Nuklear-waffen führend mitgestaltet hat, nimmt die österreichische Außenpolitik diese Rolle nicht wahr.
Dazu kommt, dass viele Länder des globalen Südens natürlich bemerkt haben, dass Österreich, im Gegensatz zu ihnen, bei den Resolutionen der UN-Generalversammlung Ende 2023 gegen einen humanitären Waffenstillstand in Gaza gestimmt hat. Damit hat Österreich viel Vertrauen verloren.